Wenn ich an meine Anfänge als jugendliche Leserin zurückdenke, kommt mir stets Gottfried Keller in den Sinn: Der grüne Heinrich aus dem 19. Jahrhundert erklärte dem Mädchen des 20. Jahrhunderts seine Welt und ich realisierte, dass unsere Jugend sich nicht so sehr unterschied. Die Gefühle, die Personen, die Beziehungen - bei Keller wirkt alles so modern, dass wir uns direkt gemeint fühlen. Diese Durchlässigkeit findet sich auch und vor allem in Kellers "Züricher Novellen": Der Dichter nimmt uns bei der Hand und lässt uns die 200 Jahre, die uns von ihm trennen, vor lauter staunendem Vergnügen vergessen.